Links und lernresistent

Nie war linke Politik unpopulärer, nie stieß sie auf so viel Ablehnung wie heute. Ihre lernresistente Mentalität hat sie in eine Sackgasse manövriert.

Bruno Kreisky: Die SPÖ am Höhepunkt

Ein Blick in längst vergangene Zeiten beweist: Es gab sie wirklich, die großen Tage linker Politik. Ihre Lichtgestalten prägten Parteiprogramme, offenbarten dabei nicht nur Charisma, sondern auch politischen Gestaltungswillen. Sie gaben dem eigenen Lager eine Linie und Vision, entsprechend ihren ideologischen Vorstellungen gestalteten sie die Gesellschaft, schufen Perspektiven. Die Ära sozialdemokratischer Dominanz in den 1970er Jahren suggerierte nicht nur hierzulande Zukunftsglauben und Zuversicht, europaweit sorgten Genossen wie Bruno Kreisky, Willy Brandt und Olof Palme für Aufbruchsstimmung. Die roten Hoffnungsträger erreichten rekordverdächtige Popularitätswerte, ihr flächendeckendes Wirken unter dem Banner der Gleichheit brachte frischen Wind und symbolisierte den Weg in eine neue Zukunft, gepflastert mit traditionssozialistischem Verständnis. Kurzum: Die sozialdemokratische Sonne stand im Zenit. Im freien Fall Doch dann begann sich die Sonne zu verdunkeln. Der Blütezeit folgte ein kontinuierlicher Abstieg bis zu einem Punkt im Hier und Jetzt, wo die Sozialdemokratie nicht mehr imstande scheint, sich selbst zu retten. Dieses allmähliche Verschwinden in der politischen Bedeutungslosigkeit wirkt umso spektakulärer, da sich die Verantwortlichen des linken Lagers am Höhepunkt ihrer Regentschaft lieber dem Klientelismus respektive Machterhalt widmeten und somit die etappenweise Erneuerung verschleppten, statt die bereits ergraute Partei neu zu kalibrieren, schlicht zukunftsfähig zu machen. Unter dem Einfluss sinkender Wählergunst befindet sich die Sozialdemokratie mittlerweile im freien Fall. Die Arbeiterblume blüht längst nicht mehr, die einst gehobene Faust, kämpferisch zum Widerstand geballt, ist müde und schwach geworden. Die ganze Strahlkraft dieser ehemals bestimmenden Bewegung im politischen Westen ist abhanden gekommen, nur noch blasse Erinnerungen deuten auf eine Epoche hin, in der linke Politik die mehrheitsfähigen Bedürfnisse und Begierden der Bevölkerung widerspiegelte. Noch nie war links so unpopulär, noch nie stieß links auf so viel Ablehnung. Der Hinweis auf die Totalabsage durch die Wähler ist keine polemische Zuspitzung, sondern Ausdruck gelebter Untergangslust einer etablierten Partei, welche sich mit bunten Beschwörungsformeln und Durchhalteparolen nur noch selbst hypnotisiert. Bis zum absoluten Stillstand. Der Glanz alter Tage ist verblasst Getragen von der Wirtschaftswelle der Nachkriegszeit und im Einklang mit der internationalen Entwicklung, verzeichnete Österreich ab Mitte der 1950er Jahre hohe Wachstumsraten. Hauptverantwortlich für diesen Aufschwung war die Exportindustrie und hier wiederum die verstaatlichte Schwerindustrie. In der Republik lief bis 1980 ein rasanter Aufholprozess ab, in dessen Verlauf der Aufstieg in die Reihen der hoch entwickelten Industriestaaten stand. Das vertrauensvolle Verhältnis zwischen SPÖ und einer von Prosperitätseuphorie berauschten Industriearbeiterschaft ebnete den Erfolg für die Sozialdemokratie, welche Wählerstimmen großzügig mit sozialen Treueprämien honorierte. Fortan galten linke Grundwerte als universelles Vehikel für Fortschritt und Entfaltung. Vor dem Hintergrund sozialpartnerschaftlicher Errungenschaften, dem institutionalisierten Klassenkompromiss und geschickter Machtpolitik verwandelte sich die bestimmende rote Bewegung zu einer selbstsicheren und stolzen Partei, die sich künftig auf den verblassenden Glanz alter Tage verlassen sollte. In den Jahren 1971, 1975 und 1979 erreichte die SPÖ unter Kreisky die absolute Mehrheit, die Partei stand am Gipfel ihrer Macht. Die Linke war bis dahin fast alles, Jahrzehnte später ist sie fast nichts mehr. Bis heute hat sich die Partei einer substanziellen Aufarbeitung verweigert, peu à peu hat sie sowohl ihre Sonderstellung als auch ihre Meinungshegemonie verloren. Zurück bleibt ein auf Machterhalt getrimmter Apparat, der trotz permanenter Zurechtweisung durch das Wahlvolk seine Partikularinteressen priorisiert. Die Linken befinden sich in einem Rückzugsgefecht, überholt von der Zeit, überfordert von aktuellen Problemstellungen. Politische Plattenverschiebung Der ab den 1980er Jahren einsetzende Vertrauensverlust gegenüber der roten Altpartei verlief mit Ansage. Der Wählerzuspruch sank stetig, seit Kreiskys Rekordergebnis 1979 hat sich der Stimmenanteil der SPÖ quasi halbiert. Die damals schon einsetzende linke Lust am Untergang zieht sich seitdem wie ein roter Faden bis in die Gegenwart. Die jüngsten Entwicklungen in ganz Europa sprechen eine klare Sprache und verweisen auf eine umfassende politische Plattenverschiebung. Europas Sozialdemokraten kämpfen derweil nur noch um ihr eigenes Überleben. In Frankreich ging der linke Kandidat, Benoît Hamon, in der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl unter, mit nur knapp über sechs Prozent fuhr er das schlechteste Ergebnis in der Geschichte seiner Partei ein. Die niederländische Arbeiterpartei wurde bei der Parlamentswahl im März ins politische Nirwana katapultiert, sie erreichte nicht einmal die Sechs-Prozent-Marke. Noch nie hat eine Partei in den Niederlanden so hoch verloren wie die sozialdemokratische Partei. Der Irish Labour Party erging es 2016 nicht anders als den Genossen auf dem Festland, die Zahl der Abgeordneten reduzierte sich auf sieben Sitze. Auch in Polen geht es für die Linken bergab. Seit der Wahl 2015 ist im Parlament erstmals keine einzige Partei aus der linken Tradition mehr vertreten. Die Zeichen der Zeit stehen auf Fortsetzung dieser Serie. Doch das Ende der in den 1980er Jahren beginnenden Talfahrt war noch lange nicht erreicht. Ganz im Gegenteil. Denn die Genossen reagierten mit der Preisgabe traditioneller Ziele, sie entfernten sich von zentralen ideologischen Forderungen, verrieten ihre Klientel, ahnungslos, dass sie damit ihren spektakulären Absturz nur beschleunigen sollten.
“Die Linken befinden sich in einem Rückzugsgefecht, überholt von der Zeit, überfordert von aktuellen Problemstellungen.”
Links liegen gelassen Als in den 90ern auch der letzte Optimismus gewichen war und der Abwärtsstrudel nicht mehr ignoriert werden konnte, einigten sich die SPÖ-Parteigranden auf die Anpassung an einen Zeitgeist, der die Genossen links liegen ließ. Was folgte war das bekannte Abrücken der Sozialdemokratie von immanenten Prinzipien. Dieser programmatische Schwenk sollte das Profil der SPÖ schärfen und Richtung Zentrum rücken. Verzweifelt suchte man nach neuen Gruppen abseits verunsicherter und zum Teil bereits verloren gegangener Stammwähler, die sich aufgrund des Wirtschaftswandels und der vermehrten Automatisierung der Produktion übergangen fühlten. Das klassenbewusste Selbstvertrauen der Arbeiterschaft wich einer Abstiegsangst, die sie zu einem Stimmungswechsel veranlasste und ihre bisherige politische Präferenz über den Haufen warf. Die Linken verkannten den politischen Paradigmenwechsel und trafen fundamentale Fehleinschätzungen, sie verpassten den Anschluss, ignorierten und überdeckten relevante gesellschaftliche Bruchstellen mit moralischer Selbstbschwörung. Einst noch Treiber gesellschaftlicher Progression, wurden sie selbst zu Opfern realer Umbrüche. Seitdem steckt das linke Milieu noch tiefer in einer ideellen Krise. Moral und alte Dogmen dominieren Im Zuge dieses politischen Eierlaufs gingen Orientierung und Attitüde vollends verloren. Die einzige Haltung, die ihnen bis heute geblieben ist, ist ihre mit Hypermoral ausgestattete Vehemenz gegen rechte Politik. Alles, was nicht links ist, wird als reaktionär abgelehnt. Besserwisserisch erteilt man Kritikern auf Basis alter Dogmen sittliche Lektionen, die keinen Platz für Widerspruch bergen, und hält apodiktisch klingende Gardinenpredigten, stets zur Verteidigung des eigenen Guten und Schönen. Einzig die linke Wertegemeinschaft fühlt sich befähigt, Andersdenkenden im Falle geäußerter Zweifel den Verdacht des Populismus anzuhängen. In der politischen Praxis schloss man damals wie heute regelmäßig die Augen vor der Realität. Im Umgang mit der europäischen Schulden- und Haftungsunion, dem Asylchaos sowie den Themen Massenmigration, Sicherheit, Integration, Terror und Islam verstecken sich Politiker auch gegenwärtig hinter ihrem moralischen Verhau und verlassen sich auf die Wirkungskraft ihrer bis zur Redundanz vorgetragenen Toleranzverdikte. Was sich dem Stimmvolk angesichts dieser Hilflosigkeit gegenüber aktuellen Herausforderungen bis dato zeigt, ist ein multiples politisches Versagen auf linker Seite. Die rote Kanzler-Show

Christian Kern: Die SPÖ am Tiefpunkt

Wurde bei vergangenen Wahlniederlagen stets nach Rechtfertigungen aller Art gefischt und die Schuld schnell bei den anderen gefunden, war spätestens seit dem historischen SPÖ-Fiasko in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl 2016 und der öffentlichen Demütigung des damaligen Kanzlers Werner Faymann beim roten Mai-Aufmarsch evident, dass die Partei in dieser Form keine Zukunft haben wird. Faymann dankte ab, entging einer Demontage und ermöglichte damit eine parteiinterne Grundsanierung. Was aber folgte war ausschließlich ein inszenierter Versuch der Veränderung, eine gut organisierte rote Kanzler-Show rund um Christian Kern, der scheinbar im Aufbau blendender Scheinwelten ein legitimes politisches Mittel zu erkennen meint und dies auch offenherzig zu Protokoll gab. Mit dem neuen Kanzler an der Spitze arbeitet die Partei vehement an einer bemerkbaren Wandlung. Kerns Selbstinszenierung sollte den Geist der Sozialdemokratie noch einmal beleben, die SPÖ für Wahlen rüsten. Entsprechend positionierte sich der Ex-ÖBB-Manager als smarter Showmaster und Schwadroneur, als eleganter Entertainer und Pizzabote. Auf der Suche nach den verlorenen Stimmen taumelt die SPÖ auch unter Kern zwischen politischem Opportunismus und substanzlosem Smalltalk. Was nicht auf der Agenda steht, ist die Kenntnisnahme von selbstverschuldeten Problemen, das Loslösen von vergangenheitsverhafteten Leitmotiven. Die Sozialdemokratie hat nicht realisiert, dass ein Obmannwechsel alleine nicht zwingend zu einer Modernisierung innerhalb einer derangierten Partei führt, die sich aus obsoleter ideologischer Programmatik speist und starren Machtmechanismen nachhängt. Warum die Linken verlieren Ausschlaggebend für das schwindende Vertrauen in linke Politik ist der fehlende Wille zu Erneuerung obgleich politische, gesellschaftliche wie wirtschaftliche Rahmenbedingungen im steten Wandel begriffen sind. Dies gehört zum Wesen der Demokratie. Die Linken allerdings stehen still, während sich die Welt weiterdreht. Überfällige innerparteiliche Renovierungsarbeiten werden beharrlich beiseitegeschoben, panisch wird jeder Reformansatz, der in Selbstschwächung münden könnte, im Keim erstickt. Ihre lernresistente Mentalität hat sie in eine Sackgasse manövriert. Die Linken sind über die Gleichgültigkeit gegenüber ihren eigentümlichen Werten gestolpert.
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