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Europa und der weiße Stier

Europa sitzt auf einem weißen Stier, sie wird getragen – bis nach Europa, nach Kreta. Und so beginnt Europa, zumindest der griechischen Sage nach. Wer reiten kann, der weiß das: Auf einem Stier kann man nicht reiten, höchstens drauf sitzen.  Was aber wird uns erzählt, wie Europa gegründet worden ist? Also berichtet die antike Sage:

Die Königstochter Europa trieb sich an einem phönizischen Strand herum und der Göttervater Zeus fand Gefallen an ihr. Er fand ja an vielen jungen Weibern Gefallen. Da sie sich als Tierfreundin zeigte – sie spielte mit den dort grasenden Kühen – verwandelte sich Zeus flugs in einen weißen Stier, war anschmiegsam, lud sie dazu ein, sich auf ihn zu setzen und als das geschehen war, schwamm er mit ihr bis nach Kreta. Anscheinend gefiel das der Königstochter Europa sehr und es gefiel ihr auch, als sich der Stier alsbald in den leibhaftigen Göttervater Zeus zurückverwandelte und ihr dann drei Kinder machte, bevor er sich wieder in den Olymp zurückbegab, wo er seiner Hera eine passende Geschichte auftischen musste.

Europa war gegründet. Nicht besonders heldisch, die Geschichte, eher die Geschichte der Verführung einer reichlich dummen Gans durch einen alten weißen Mann mit der Fähigkeit, anstelle eines alten Ochsen einen jungen Stier vorzuspielen. Immerhin, das mit den Kindern scheint funktioniert zu haben, beim Zeus hat das ja immer funktioniert. Göttlich halt.

Also ist die Gründungssage Europas keine Heldensage, sie ist die Geschichte einer Täuschung, eines Betruges. Dass die Betrogene ein vertrauensseliges Weib und der Betrüger ein listiger Gottvater gewesen ist, ändert nichts, passt aber hervorragend ins Bild. Was als Betrug angefangen hat, kann auch die schönste Sage nicht umdichten. Der Betrug steht an der Wiege Europas und wird uns nie wieder verlassen.

Wir sind in Europa und wir schicken uns an, Europa neu gründen zu wollen. Fast ist das schon gelungen, denn die meisten der Menschen, die sich für Europäer halten, wissen schon gar nicht mehr, dass zwischen Europa und der EU ein recht gewaltiger Unterschied besteht, denn wir leben in der Täuschung seit der Gründung dieses Erdteiles, von dem man nicht genau weiß, wo dieser anfängt und man nur weiß, wo er geographisch endet – nämlich im Meer.

Bald werden wir ein Parlament in Europa zu wählen haben. Dass es ein Parlament in der EU ist und kein europäisches Parlament, das wissen die, die zur Wahl hingehen sollen wahrscheinlich gar nicht. Ist aber nicht wirklich wichtig, denn das Parlament hat kaum eine politische Bedeutung. Ein Recht zur Einbringung von Gesetzen hat es nicht, es darf nur darüber abstimmen, was die EU-Bonzen beschlossen und vorgeschlagen haben. Also eine recht zahnlose politische Pseudoinstitution.

Was sich sonst in der EU herumtreibt, ist Bürokratie pur. Von Bürokraten entsandt, den Bürokraten verpflichtet, den Bürokraten hörig und von ihnen abhängig, niemandem verantwortlich. Von Demokratie spürest du kaum einen Hauch, um Goethe zu zitieren, der inzwischen von unserer europäischen Jugend ohnehin nur mehr mit dem Vornamen „Fuck You“ wahrgenommen wird.

Oder wie der verflossene Präsident Martin Schulz in einer Minute der Erleuchtung gemeint hat, dass die EU selbst wohl keine Chance hätte, in die EU aufgenommen zu werden, weil sie zu wenig demokratisch wäre. Die Phantasien von einer europäischen Armee, die 24 Sprachen verstehen muss, bevor sie funktionieren kann oder einer Frontex, der es nicht besser geht, die sind ein Mythos, den nur einer glauben kann, der auch an den weißen Stier glauben will und hofft, dass er sich irgendwann einmal in den Göttervater zurückverwandeln wird.

Europa wartet, dass der Stier kommt und sie abholt. Sie schaut nicht mehr so aus, wie Tizian sie einst gemalt hat: jugendlich, üppig, begehrenswert. Sie ist in die Jahre gekommen unsere Europa. Sie hat einen Hosenanzug an und manchmal trägt sie einen Doppelnamen, der nicht zu der Gründung eines Kontinents taugt, sondern höchstes für eine Büttenrede. Niemand mehr holt sie ab.

Und auch unser Europa hat sich gewandelt. Entstanden aus einem Mythos, dem eine Täuschung zugrunde liegt. Und auch die Völker sind andere geworden, seitdem der Stier damals in Kreta gelandet ist. Die Sage kennt ohnehin keiner mehr, der Schulz nicht und auch die anderen Figuren nicht, die wir wählen sollen, damit wir glauben können, in unserem Europa würde sich irgendetwas ändern, wenn wir brav das wählen, was uns präsentiert wird.

Ändern kann sich nämlich nichts. Denn die Bürokratie hat hier in Europa die Macht übernommen und eine Bürokratie kann sich nie ändern – sie kann höchstens schlimmer werden. Man sollte dennoch zur EU-Wahl gehen und seine Stimme abgeben. Denn wenn man schon nichts ändern kann, ärgern sollten sich die Bürokraten wenigstens über ein Ergebnis, das ihnen nicht gefallen wird.

Georg Zakrajsek

Studium der Rechtswissenschaften, gleichzeitig Schriftsetzerlehre, Lehrer an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt. Notar in Wien Neubau, Pressesprecher der Notariatskammer, seit 2008 in Pension
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