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Der Eremit, der Künstler, der Ordensmann. Ein moderner Eskapismus?

Ist Flucht die einzige Möglichkeit, den immer stärker um sich greifenden Wahnsinn unserer niedergehenden und sich selbst zerstörenden Zivilisation überhaupt noch zu verkraften? Ist Eskapismus, in welcher Form auch immer, die einzige ehrliche Überlebensmöglichkeit für den letzten Abendländer? Prof. David Engels

Dies ist sicherlich nicht ganz falsch, doch es gilt, diese Hypothese zunächst genauer zu definieren. Eskapismus, verstanden im Sinne eines rein egoistischen Abwendens von einer als unerträglich empfundenen Realität, sei es nun durch die Flucht in ein steriles künstliches Paradies, sei es durch die Imitation eines Nero, der aus der Sicherheit des eigenen Palastes mehr oder weniger fasziniert bzw. zynisch das brennende Rom beim Untergang betrachtet, ist selbstverständlich abzulehnen, wenn beide Haltungen auch psychologisch durchaus verständlich sind und entsprechende Anwandlungen gelegentlich selbst den größten abendländischen Patrioten befallen.

Dieser Text ist in „Frank&Frei – Magazin für Politik, Wirtschaft und Lebensstil“, Ausgabe XII.MMXXII erschienen. Erhältlich im Buchhandel  und im Frank&Frei-Onlineshop

Aber ein Eskapismus, welcher zwar ebenfalls die Beteiligung am Irrsinn der Moderne verweigert, gleichzeitig aber für das weitere Überleben unserer abendländischen Kultur einen gewissen Mehrwert bringt, rechtfertigt sich durchaus als eine annehmbare Antwort auf die Schrecken der gegenwärtigen Krisen. In der Tat hat die moderne Welt sich in einem solchen Maße moralisch wie kulturell selbst ad absurdum geführt hat, dass ein Ablehnen zumindest einzelner Formen dieser Modernität und die Rückkehr zu einigen der als atavistisch oder anachronistisch verschrienen Lebensformen unserer Vergangenheit in der Tat für jeden wahren Patrioten alternativlos ist, will er nicht selbst zum Teil jenes Problems werden, das er doch bekämpft. Bedenkt man etwa die moralischen Verirrungen der Transhumanismus, der Gender-Theorie, des Hedonismus oder des zunehmend kollektivistischen Globalismus, so ist eine wie auch immer geartete positive Anknüpfung an jene Paradigmen der Moderne kaum möglich, während nur die vollständige Abkehr von jenen Phänomenen mitsamt einer Rückkehr zu traditionelleren Formen abendländischen Lebens die einzige Möglichkeit eines wirklich menschenwürdigen Daseins bietet. Hierbei bieten sich unter anderem drei Varianten an, deren Archetypen allesamt tief in der abendländischen Kulturtradition verwurzelt sind.

Der Eremit

Unter den gegenwärtigen Bedingungen könnte der Wunsch, notfalls selbst alleine und ohne jegliche Verbindung zur Gesellschaft einen traditionalistischen Lebensstil zu pflegen, sicherlich als eine Form des Eskapismus betrachtet werden – und doch: Findet jener alternative Lebensentwurf, jener freigewählte Jünger’sche „Waldgang“ im Geiste von Tradition und Gottessuche statt, wie etwa in Thoreaus „Walden“, so bringt er wenigstens die geistige Gesundheit eines einzelnen Menschen wieder ins Lot, während er dem allgemeinen Wahnsinn die entsprechenden Kräfte entzieht; ganz zu schweigen von der Vorbildwirkung, welche früher oder später vom Einzelschicksal solcher modernen Eremiten ausgehen mag, selbst wenn es Letzteren explizit gar nicht um eine wie auch immer geartete Bekanntheit oder Beispielhaftigkeit geht, ja er jene sogar flieht.

Der Künstler

Eine andere, von manchen ebenfalls wohl als „Eskapismus“ gebrandmarkte Möglichkeit, dem Verfall zu entrinnen, wäre der Versuch, jene nur scheinbare Flucht vor der Gegenwart für eine positive, konstruktive, wenn auch nicht unmittelbar gewinnbringende ästhetische Tätigkeit einzusetzen, welche vielleicht manchmal erst in vielen Generationen tatsächliche Früchte tragen wird. So hat man etwa Tolkiens gewaltiges mythopoetisches Werk, welches die Frucht einer jahrzehntelangen Absage nicht nur an die moderne Welt, sondern auch an den eigenen akademischen Ehrgeiz war, oft genug als Eskapismus gebrandmarkt; tatsächlich aber ist es so, dass Tolkiens Schaffen mittlerweile eine solche kulturelle Bedeutung entfaltet hat und geradezu zu einem Manifest des modernen Konservatismus geworden ist, so dass man ihm wohl faktisch im Rückblick eine erheblich bedeutsamere praktische Bedeutung zuschreiben kann als das Lebenswerk so manchen konservativen Politikers, der jahrelang schwerste parlamentarische Kämpfe ausgefochten hat.

Der Ordensmann

Unter den vielfältigen Möglichkeiten des Widerstands gegen die moderne Welt wollen wir schließlich als letzte das selbstgewählte Ausscheiden aus der Mehrheitsgesellschaft und die Mithilfe beim Aufbau nur scheinbar eskapistischer „Parallelgesellschaften“ nennen, welche langfristig wohl erheblich größere Überlebenschancen besitzen als unsere Gegenwart selbst, ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis die zunehmend innerlich ausgehöhlte postmoderne Gesellschaft in sich zusammenbricht und jeder, der den Sturz im übertragenen wie im echten Sinne überleben will, zu ursprünglicheren Vorstellungen zurückfinden muss, die es eben ganz konkret im Alltag zu praktizieren und zu verteidigen gilt, wie ich versucht habe, in meinem Buch „Was tun?“ (Bad Schmiedeberg 2020) zu demonstrieren. Denn in der Tat ist es wichtiger denn je geworden, der modernen Welt einen Gegenentwurf entgegenzusetzen, eine neue, alternative Gesellschaftsordnung, welche, den zahlreichen monastischen Orden der spätantiken und frühmittelalterlichen Welt nicht unähnlich, die Grundelemente dessen, was wir in unserer Kultur als wesentlich betrachten, über die „dunklen Jahrhunderte“ hinüberretten könnten, um eines Tages wieder, wer weiß,  zum Kristallisationspunkte eines möglichen Wideraufbau zu werden…

Der Eremit, der Künstler und der Ordensmann – das sind die drei Facetten eines künftigen und doch gleichzeitig uralten „Eskapismus“, der viel mehr ist als bloße sterile „Flucht“, sondern vielmehr auf dem Mut zum eigenen Gegenentwurf beruht, ob dieser sich nun auf die eigene Person, die ästhetische Tätigkeit oder die Schaffung einer eng verschworenen Gemeinschaft von Außenseitern bezieht.

 

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