Alexander Van der Bellen: Wenn das Establishment zweimal klingelt

Ataktische TikTok Bewegungen, Agenturvideos mit einem sprechenden Hofburghund sowie unzählige Fürsprecher von Heide  Schmidt über Heinz Fischer aus dem – wie es die FPÖ sagen würde – “Establishment” und es war gerade noch genug, um dem amtierenden Präsidenten seine Wiederwahl im ersten Wahlgang zu sichern

Doch warum wurde es trotz der breiten Unterstützung durch alle im Parlament vertretenen Parteien, außer der FPÖ, ein eher bescheidenes Wahlresultat? Die Antwort ist so einfach wie banal. Die Arbeit des bemüht staatstragend wirken wollenden Professors der Volkswirtschaftslehre aus dem Kaunertal, der in den letzten Jahren zumindest auf Wahlplakaten den Begriff Heimat für sich entdeckt hat, war anscheinend für einen nicht so kleinen Teil der Wähler gerade in Zeiten der Pandemie und des nun immer mehr eskalierenden Ukraine-Konfliktes nicht ganz so optimal, um es höflich und nicht im etwas rustikaleren Gerald-Groszschen-Sinne zu verbalisieren. Das Proletariat schlägt zurück und aus dem einstigen “Obi-Wan Kenobi” der Grünen wurde sogar in Elementen des linken Spektrums der “Darth Vader” des Systems.

Was ist faul im Staate Österreich? Ein Blick in die Befindlichkeitskybernetik

 Die Pandemie und die damit verbundenen Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen, welche sogar in einer Impfpflicht gipfelten, sowie weitere Entscheidungen der Staatslenker in Zusammenhang mit ihrer Position zum Krieg in der Ukraine haben viele Österreicherinnen und Österreichischer stärker bewegt, wenn nicht sogar traumatisiert, als es so manch ein Politanalyst zu erkennen vermochte. Lange, man kann behaupten zu lange, wurden die Stimmen in der Bevölkerung als Schwurbler und Putin-Versteher abgetan und jene klassifiziert und stigmatisiert, dabei haben die Menschen, von denen die Politik so gerne doziert, nur ihren Unmut, der ihnen in einer Demokratie zusteht, ausgedrückt. Diese Anzeichen einer Zeitenwende wurden verdrängt und ignoriert. Systemgewinner versus Systemfrustrierte lautete diesmal das Duell um Österreich. Dass es sich nun bei der multipolaren Themenlage die nun Corona, Krieg, neue Migrationsbewegungen und eine hohe Inflation konfundiert, noch immer ausgegangenen ist, verdankt Van der Bellen seiner noblen Zurückhaltung, die ihn noch für über 50 Prozent der Wähler zur positiven Projektionsoberfläche machte.

Sozialtechnik in der Politik

 Wählerströme fliegen von links nach rechts. Kommentatoren, Agitatoren und Experten wohin man blickt. So kennen wir die Wahlabende. Wenige kennen aber die Dynamik und Sozialtechnik hinter dem Medienzirkus. Umfragen und Analysen sind immer auch Interventionen. Sagen diese ein knappes Rennen voraus, dann können sie, wie die Wahlen in Tirol belegen, mobilisierend und stimulierend für die jeweilige Partei wirken, für die es knapp zu sein scheint. Umgekehrt kann man im Fall der Bundespräsidentenwahl den Eindruck bekommen, dass die im Vergleich zu seiner Konkurrenz relativ guten Ergebnisse, die ihm eine Wiederwahl im ersten Wahlgang bescheinigten, bei manchen Bürgern den Eindruck erzeugen, dass der aktuelle Bundespräsident das Vertrauen einer breiten Mehrheit genießt und man mit einem Votum für ihn auf der sicheren Seite ist und nicht zu sehr aus der Reihe tanzt. Denn wer will schon im Lager der Außenseiter verortet werden. Daher das bewusste Setzen auf Fürsprecher aus dem Establishment von Arnold Schwarzenegger, über Pamela Rendi-Wagner bis hin zum Wiener Bürgermeister, Michael Ludwig. Trotz der beschriebenen großen systemischen Front gelang nur ein schwaches Abschneiden.

Das Imperium schlägt zurück

Diese Strategie kann aber nach hinten los gehen. Vor allem dann, wenn die potenziellen Wählerinnen und Wähler sich nicht mehr mit diversen Künstlern und Prominenten identifizieren können, die aus ihrer Perspektive zum System gehören und dadurch nicht die gleichen Sorgen und Nöte haben wie sie selbst. Dann läuft die sozialtechnische Einflussnahme, ob bewusst oder unbewusst, ins Leere oder bewirkt sogar das Phänomen der Reaktanz. Der mündige Bürger macht dann, ähnlich wie bei den Corona-Maßnahmen, genau das Gegenteil davon, was von ihm erwartet wird. Dies passiert wenn man den Bogen der Akzeptanz und Toleranz überspannt. Alexander Van der Bellen ist mit seinen unter 60 Prozent der Stimmen kein Präsident aller Österreicher und dies dürfte er, sofern er sein Auftreten und seine Handlungen nicht signifikant ändert, weiterhin bleiben. Womit wir eine Spaltung in unserem Land nur kurzfristig durch die vergangene Wahl und den dürftigen Erfolg überlagert haben. Die Probleme bleiben die gleichen. In diesem Sinne “Tu felix Austria“.

Daniel Witzeling

Psychologe und Sozialforscher.  Leiter des Humaninstituts Vienna. Als Sozialforscher beschäftigt er sich mit angewandter Psychologie  auf verschiedenen gesellschaftlichen Tätigkeitsfeldern unter anderem  Wirtschaft, Politik und Soziales.
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