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Linkes Expertentum: Die unerträgliche Leichtigkeit des Scheins

Keine Talk-Show, Nachrichten- oder Magazinsendung ohne  Experten. Experten  für Corona, Klima, Rechtsextremismus, Internet, Sexismus, Hass oder was sonst gerade  auf der linken Agenda  steht. Diese von Medien und Politik autorisierten  Fachleute vermitteln kein neues Wissen oder Einsichten, ihre Aufgabe ist es, die vom politmedialen Establishment erwünschte  Haltung zu aktuellen Entwicklungen in der Bevölkerung zu festigen.

Was löst in Ihnen das Wort „Experte“ aus? Verbinden Sie damit jemanden, der sich über Jahre fundiert, meist akademisch mit einer bestimmten Materie auseinandergesetzt hat und daraus resultierend tiefere Einsichten generieren konnte, welche weniger involvierten Personen so schnell nicht zur Verfügung stehen? Jemanden, der auf diesem Themengebiet möglicherweise auch praktische Erfahrungen sammeln konnte und somit den epistemologischen Umfang seiner Kenntnisse und – noch viel wichtiger – dessen Begrenzungen kennt? Dann gehören Sie bestimmt zu den Glücklichen, welche nicht aus einem wohl an Masochismus grenzendem Interesse, den massenmedial transportierten Diskurs zu quasi allen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Fragen verfolgen. Gehören Sie, so wie meine Person, zu den weniger glücklich veranlagten, welche ganze Abende damit verbringen, teils lautstark in Ihr Empfangsgerät zu schimpfen und damit den Unmut aller Anwesenden auf sich zu ziehen, dann evoziert der Begriff „Experte“ in Ihnen eher ein anderes Bild.

Sowohl in den österreichischen, als auch um den Faktor Zehn verstärkt in den deutschen und allgegenwärtig in den amerikanischen Mainstream-Medien, zeichnet sich das Expertentum vor allem durch die unheilige Dreifaltigkeit von Viertelbildung, Arroganz und politischer Stromlinienförmigkeit aus. Ausgestattet mit einem professoralen Habitus beliefern sie uns bei jeder Gelegenheit mit Expertisen, die von jedem Laien durch eine einabendliche, semikonzentrierte Wikipedia-Lektüre übertroffen werden könnte. Als personifizierte Dunning-Kruger-Effekte bevölkern Digitalexperten, Rechtsextremismus-Experten, Simulationsexperten, Verschwörungsideologie-Experten, Rassismus-Experten, Hass-im-Netz-Experten, Klimawandel-Experten, Kolonialismus-Experten, Alte-weiße-Männer-Experten und Wie-Sie-zu-denken-haben-um-kein-Böser-zu-sein-Experten alle möglichen Formate des Politainment (denn wirkliche Informationsformate sind mir zumindest keine mehr bekannt) und scheinen nicht einmal mehr in den stillsten Momenten auf die Idee zu kommen, dass ihre ideologisch vorgekauten Prämissen vielleicht doch der Inbegriff von Objektivität sind. Gleichzeitig wird seit Anbruch der Pandemie geradezu mantrisch „die Wissenschaft“ als nach dem Tode Gottes letzte Bastion von Gewissheiten beschworen, um sich von „Verschwörungstheoretikern“ und anderen pathologisch Andersdenkenden abzusetzen, ohne zu sehen, dass sie von diesen lediglich habituelle Aspekte trennen. Sogar Politiker entschlagen sich mittlerweile am liebsten dem Politischen, indem sie geloben, einzig und allein „evidenzbasierte“ – d.h. alternativlose – Entscheidungen zu treffen. Dem geschulten Beobachter postdemokratischer Diskurse fällt dazu die Faustregel ein: Wer konstatiert, unideologisch bzw. nicht normativ zu handeln, tut zumeist genau das, nur auf unreflektierte Weise.

Ingrid Brodnig: „Expertin“ für Internet und Hass

Der französische Soziologe Pierre Bourdieu bezeichnete diese Experten als „manipulierte Manipulatoren“, als „fast thinkers“, welche ständig für verschiedenste Formate ausgewählt werden, weil ihre Art des Denkens und Kommunizierens besonders gut in die Medienlogik passt. „Die Kommunikation gelingt augenblicklich, weil sie in gewisser Hinsicht gar nicht stattfindet. Oder nur zum Schein. Der Austausch von Gemeinplätzen ist eine Kommunikation ohne anderen Inhalt als eben den der Kommunikation.“

Auch wenn man solche Formate nur sporadisch verfolgt, kann man bereits an den wiedererkannten Namen der Teilnehmer jede Experten-Meinung, jedes Argument und auch den Ausgang der Debatte antizipieren. Es kommt kein originärer Gedanke, keine tiefere Erkenntnis, höchstens hin und wieder ein Eklat, der wenigstens den Unterhaltungswert auf die Höhe eines mittelmäßigen Fußballspiels bringt. Man fragt sich also, wozu sitzen diese Personen dort? Und warum sehen Sie und ich dabei zu?

Kindermund tut Wahrheit kund

Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass genau das der Grund ist: die Berechenbarkeit. Es geht nicht um den freien Austausch von fundierten Argumenten mit dem Ziel des Erkenntnisgewinns. Die Hauptfunktion der beschriebenen Akteure besteht in ihrer Rolle als Phrasenlieferanten für Debattensimulationen. Sie befüttern die medial vorgeprägten Denkschemata der Rezipienten mit den gewünschten Kategorien und Deutungen. In Zeiten, als solche Sendungen noch mit Vorort-Publikum stattfinden konnten, waren diese Konditionierungsprozesse in Echtzeit zu verfolgen. Jede Wortmeldung, egal wie infantil und substanzlos, die nur genug menschelte, wurde mit Applaus und einem gütigem Lächeln bedacht, das zu sagen schien: „Ach, der ist so wie ich einer von den Guten.“ Die Flachheit reicht für ein wohliges Gefühl und dieses bringt laut Bourdieu hervorragende Einschaltquoten: „Unsere Nachrichtensprecher, Moderatoren, Sportreporter haben sich zu Moralaposteln entwickelt; mühelos schwingen sie sich zu Verkündern einer typisch kleinbürgerlichen Moral auf, die bestimmen, ‚was zu halten ist‘ von dem, was sie ‚die Probleme der Gesellschaft‘ nennen, von Aggressionen in den Vorstädten oder von der Gewalt an den Schulen.“

In den verflachten öffentlichen Diskursen gelten sogar YouTuber wie „Rezo“ als Experten und Autoritäten.

Eine solche mentale Wiederkäuer-Funktion bedarf keiner fundierten Ausbildung. Nein, es braucht nicht einmal eine besonders eingehende Beschäftigung mit dem jeweiligen Themenkomplex. Hat man die Moral auf seiner Seite, kann eigentlich jedes Kind mitreden. Und in der Tat passiert auch seit geraumer Zeit genau das: Ein schwedischer Teenager wird zum Kopf einer weltweiten Bewegung für Klimaschutz und gegen Freitagsunterricht, wird von Staatsoberhäuptern hofiert, fragt bei den Vereinten Nationen mit Tränen in den Augen, wie es die vorangegangen Generationen wagen konnten, der seit Anbeginn der Menschheit herrschenden Existenznot nicht ganz CO2-neutral zu entfliehen, und bekommt eine Statue an einer britischen Universität gestiftet. In Deutschland „zerstört“ ein blauhaariger YouTuber in einem Video die CDU, weil diese sich noch nicht in jedem Detail gänzlich zum Klon der Grünen entwickelt hat. Er ist Thema in allen führenden Medien, wird vom André Rieu der Philosophie (vgl. Peter Sloterdijk), Richard David Precht, eingeladen, um dort zu verkünden, was er alles „krass“ und „weird“ findet, und bekommt den Henri-Nannen-Preis für Qualitätsjournalismus überreicht. Vor kurzem warf ein anderes Kind dem ehemaligen Präsidenten des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen in einer der führenden deutschen Talkshows bar jeder Grundlage Antisemitismus vor. Auf die angesichts der moralischen Autorität der 25-Jährigen kleinlaute Nachfrage des ebenfalls anwesenden CDU-Kanzlerkandidaten, worauf sie denn genau rekurriere, antwortete diese ihm forsch: „Ja bitte, setzen Sie sich damit auseinander, das sollten Sie wissen!“

Nun ist diesen Kindern (auch wenn sie das nach Alterskriterien zum Teil schon lange nicht mehr sind) gar kein großer Vorwurf zu machen. So wie alle Kinder, imitieren Sie bloß Verhaltensweisen, die im jeweiligen Referenzrahmen funktionieren. Doch trotz allem lassen solche Entwicklungen bei der etablierten medialen Priesterkaste keinerlei Selbstzweifel aufkommen. Sie scheinen vollkommen blind zu sein, für die Spiegelung ihrer eigenen völlig verflachten und stereotypen Denkweisen durch die nachplappernden Kinder. Es gibt keinerlei Anzeichen für irgendeine Form des Reflexionsprozesses. Ganz im Gegenteil: Die Schlussfolgerung aus der Häufung von jugendlichen „Experten“, die auf gleichem Niveau die gleich hohlen Phrasen, wie sie selbst reproduzieren können, lautet: Die Jugend ist offensichtlich im Vergleich zu vergangenen Generationen so viel weiser und verantwortungsbewusster geworden, dass jetzt allen Ernstes über die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre diskutiert werden muss.

Im Orkus des Mittelmaßes

Solange man sich auch über diese peinlichen Entwicklungen auf dem Feld der Medien und des Politainment auslassen könnte, stellen sie doch nur eines der offensichtlichsten Symptome für eine viel tiefergreifende Entwicklung dar, die sich bei weitem nicht auf diesen Bereich beschränken lässt. „Wenn die Gaukler, Dilettanten, die leichtfüßigen Intellektuellen sich vordrängen, wenn der Wind allgemeiner Hanswursterei sich erhebt, dann lockern sich auch die uralten Institutionen und strengen professionellen Körperschaften: Das Recht wird elastisch, die Kunst nervös, die Religion sentimental. Dann erblickt unter dem Schaum das erfahrene Auge schon das Medusenhaupt, der Mensch wird natürlich und alles wird möglich.“ So illustrierte Arnold Gehlen sein Verständnis von Dekadenz – einem Begriff, der schon lange nicht mehr aus dem Giftschrank des Kulturpessimismus hervorgeholt werden durfte, gerade weil die allgegenwärtigen Verfallserscheinungen schon derart in unsere Art des Wahrnehmens inkorporiert wurden, dass sie quasi die Normalität definieren und somit keines Begriffes mehr bedürfen.

Gehlen schrieb diese Zeilen allerdings vor 70 Jahren. Noch vor den Umbrüchen der späten 1960er-Jahre, in einer Zeit, als auch die Kulturindustrie noch lange nicht den allumfassenden Zugriff auf das kollektive Bewusstsein erlangt hatte, wie er später durch die flächendeckende Verbreitung der elektronischen Massenmedien professionalisiert und heute durch die sog. sozialen Medien perfektioniert wurde. Was würde der philosophische Anthropologe Gehlen, der sich seinerzeit legendäre Wortgefechte mit Theodor W. Adorno oder Joseph Beuys lieferte, wohl zur heutigen Verfasstheit des öffentlichen Diskurses, zum Arbeits- und Freizeitverhalten der Massen, oder zum herrschenden Politikertypus sagen? Die totale Herunternivellierung aller Ansprüche, die Relativierung organisch gewachsener Anerkennungssysteme, die Aushöhlung kollektiver Identitäten und die Auflösung evolutionär hervorgebrachter Institutionen hinterlassen auch in den Individuen eine Leere, die den gegenwärtigen Sozialcharakter prägt. Es hilft auch nichts, dass im Orkus des Mittelmaßes genug Platz ist für alle Seelen guten Willens, ganz ohne Ausgrenzung und Diskriminierung. Die bloße Habitus-Flexibilität eignet sich nicht zur sinnstiftenden Kernkompetenz. Auch wenn die beschriebenen Psychopompoi der letzten Menschen mit allen Umdeutungskräften aufwarten, um uns alle Alltagserfahrungen auszureden – der Unterschied zwischen Fortschritt und Verfall bleibt spürbar.

Wenn es keine Unterschiede zwischen Menschen und Menschengruppen mehr geben darf, und Kompetenzen sich nach bester Selfie-Mentalität nur noch im So-tun-als-ob erschöpfen, da durch jede Kategorisierung oder Hierarchisierung die potentielle Anwendung eines Ausschluss- und Diskriminierungskriteriums drohe, dann stellen Ungleichverteilungen nach Geschlecht, Sexualität, Hautfarbe etc. tatsächlich eine himmelschreiende Ungerechtigkeit dar. Die „Selbstanbetung der lüsternsten Mittelmäßigkeit“, wie sie Peter Sloterdijk noch vermittelt durch die Führergestalt im Hitler-Regime erkannte, erreicht im Zeitalter der vulgarisierenden und prostituierenden Massenkommunikation ihren (vorläufigen) Gipfel. „All the world´s a stage, And all men and women mereley players.“ schrieb Shakespeare vor 500 Jahren und nahm damit zentrale Ideen von philosophischen Strömungen des vergangenen Jahrhunderts, wie Poststrukturalismus und Konstruktivismus, vorweg. Das Problem ist nur, dass in einem durchvirtualisierten Alltag durch die Dekonstruktion aller Höhen- und Tiefendimensionen der menschlichen Existenz, das Schauspiel ein sehr durschaubares und damit trauriges wird.

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