Von der Erfolgsgeschichte des Kapitalismus lernen
Dass der Kapitalismus für das meiste Übel auf dieser Welt verantwortlich ist, darüber sind sich Rechte und Linke einig. Kapitalismus-Versteher sind in unseren Breiten so selten wie weiße Elefanten. Von Fakten lassen sich die Antikapitalisten aller Parteien nicht überzeugen. Rainer Zitelmann versucht es in seinem Buch trotzdem.
Ob Nord- oder Südkorea, Chile oder Venezuela, DDR oder BRD, China unter oder nach Mao Zedong – Rainer Zitelmanns Streifzug durch fünf Kontinente veranschaulicht eindrucksvoll: „Mehr Kapitalismus führt zu einer schnelleren Zunahme des Wohlstandes für die meisten Menschen.“ Mehr Staat bedeutet hingegen „weniger Zunahme an Wohlstand und manchmal sogar einen absoluten Rückgang des Wohlstandes für eine Gesellschaft“. Folgerichtig wählte Zitelmann daher den unmissverständlichen Buchtitel „Der Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“. Die meisten Intellektuellen teilen seine Sichtweise nicht. Nicht zuletzt ihre antikapitalistische Grundhaltung war es, die den promovierten Historiker und Soziologen, der heute ein erfolgreicher Unternehmer und Buchautor ist, zum Verfassen dieses informativen und kurzweiligen Buchs veranlasst hat.
Chinas Aufschwung kam nach Maos Tod
Lehrreich, gerade für den europäischen Leser, sind Zitelmanns Erkundungen der Wirtschaftsgeschichte nicht-westlicher Staaten, die sich erst in den vergangenen Jahrzehnten der freien Marktwirtschaft öffneten. In China mündete zunächst Mao Zedongs „Großer Sprung nach vorne“ (1958 bis 1962) in der größten je von Menschen verursachten Hungersnot. Die Idee, gewaltige Staudämme und unzählige Hochöfen für Stahlproduktion zu schaffen, indem Millionen Bauern enteignet und zur Mitarbeit gezwungen wurden, kostete nach heutigen Schätzungen mindestens 45 Millionen Menschen das Leben. Nachdem Maos Nachfolger Deng Xiaoping einen marktfreundlichen Kurs eingeleitet hatte, beginnend mit mehr Eigenständigkeit für Staatsbetriebe und einer „Entkollektivierung“ der Landwirtschaft, setzte eine Welle von Neugründungen im Land ein, die zur „größten und schnellsten Wohlstandsmehrung in der Menschheitsgeschichte“ führten. Eine wichtige Rolle spielten Sonderwirtschaftszonen, in denen mit kapitalistischen Wirtschaftsformen experimentiert wurde. Entscheidend für Chinas Erfolg war neben der Ermöglichung und Legalisierung von Privateigentum auch Dengs Parole „Lasst einige erst reich werden“. Während Kapitalismuskritiker wie der französische Ökonom Thomas Piketty („Das Kapital im 21. Jahrhundert“) in der Wirtschaft primär ein Nullsummenspiel sehen – die Reichen gewinnen zulasten der Armen –, zeigt das Beispiel Chinas: Mit der steigenden Zahl an Millionären und Milliardären verbesserte sich der Lebensstandard auch für weitere Hunderte Millionen. In den chinesischen Regionen mit den höchsten öffentlichen Ausgaben sind heute hingegen die Einkommensunterschiede am größten. Die freie Marktwirtschaft konnte sich in China auch deshalb so gut entwickeln, weil sie nur teilweise von oben initiiert wurde. Vieles geschah spontan von unten, weil sich der Staat zurückzog und Freiräume ließ. In dieser Spontaneität sieht Zitelmann ein Grundcharakteristikum des Kapitalismus.
Afrikas digitaler Aufbruch – ganz ohne Entwicklungshilfe
Nicht nur Maos sozialistisches Experiment ist gescheitert. Auch der „afrikanische Sozialismus“ und die jahrzehntelange westliche Entwicklungshilfepolitik führten auf Irrwege. So gingen deren Gelder oft an korrupte afrikanische Regierungen, die sich bald mehr den Geldgebern als der eigenen Bevölkerung verantwortlich fühlten und unproduktive öffentliche Sektoren ausbauten. Selbst kurzfristig sinnvolle Projekte waren langfristig zerstörerisch. Wenn beispielsweise 100.000 Moskitonetze nach Afrika geschickt wurden, mussten danach die afrikanischen Moskitonetzhersteller ihre Unternehmen schließen. Doch Zitelmann widmet sich auch erstaunlichen Erfolgen in Afrika, die mit dem „digitalen Kapitalismus“ einhergingen. So bemühte sich etwa Ruanda ab 2000 um eine investorenfreundliche Marktpolitik mit speziellem Fokus auf Informations- und Kommunikationstechnologien.
Heute hat Ruanda eine Einschulungsrate von nahezu 100 Prozent, 91 Prozent seiner Bewohner haben eine Krankenversicherung. Das Wirtschaftswachstum betrug von 2001 bis 2015 jährlich etwa acht Prozent. Im Ranking der wirtschaftlich freiesten Länder belegt Ruanda immerhin Platz 51 – noch vor Spanien und Frankreich. Die Kombination aus Internet und Mobilfunk veränderte auch Kenia dank Handybanking. „Auf einmal konnten die vielen Millionen Kenianer, die den kenianischen Banken zu arm waren, Geld versenden und bargeldlos bezahlen.“ Der Zahlungsverkehr über Mobiltelefone setzte Kaufkraft frei. In Nairobi entstehen seither laufend neue Start-up-Zentren. In ganz Afrika wächst die Zahl der Reichen mittlerweile schneller als in jedem anderen Kontinent – und mit ihnen auch die Mittelschicht. „Dank Internet und Mobilfunk nahm der Durchgriff des Staates auf viele Branchen ab.“
Rohstoffe allein helfen nicht
Wie man mit staatlichem Sozialismus ein erfolgreiches und rohstoffreiches Land abwirtschaftet, hat Venezuela vorgezeigt. 1970 zählte es noch zu den 20 reichsten Ländern der Welt. Danach ging es bergab. Besonders verheerend war der von vielen Intellektuellen gefeierte „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ von Hugo Chávez. Als Staatspräsident riss er sich die Erdölproduktion unter den Nagel und verdrängte ausländische Ölgesellschaften. Mit den Öl-Einnahmen finanzierte er Sozialprogramme und Subventionen für verlustbringende Unternehmen. Dabei profitierte er vom steigenden Ölpreis. Doch seit die Erdölpreise sinken, reißen eine ineffiziente sozialistischen Wirtschaft, Preiskontrollen und Hyperinflation das Land in den Abgrund. Der Anteil der Armen ist mittlerweile auf 82 Prozent gestiegen, jener der extrem Armen auf 52 Prozent. Ein anderes lateinamerikanisches Land – Chile – konnte hingegen dank Privatisierungen, Staats- und Finanzreform, Deregulierung und Öffnung der Wirtschaft das Vertrauen ausländischer Investoren gewinnen. Der Anteil der Armen sank zwischen 2003 und 2014 von 20 auf sieben Prozent. Aufgrund seiner diversifizierten Wirtschaft ist Chile trotz seiner reichen Kupfervorkommen nicht so stark von den Rohstoffpreisen abhängig wie Venezuela.
Verschiedene Resultate bei gleicher kultureller Prägung
Ähnliches fördert der Vergleich zwischen Nord- und Südkorea zutage. Im ersten Fall sorgt ein planwirtschaftliches System mit ungeheuren Militärausgaben für Armut und eine Abhängigkeit der Bevölkerung von der Landwirtschaft. Ernteausfälle wegen Dürre führen zu Nahrungsmittelknappheit und Hungersnöten. Südkorea ließ sich hingegen in den 1960er Jahren auf die freie Marktwirtschaft ein – mit anhaltendem Erfolg, wie das Wirtschaftswachstum beweist. Das Land ist heute internationaler Spitzenreiter bei den Bildungsausgaben, dank der privaten Ausgaben. „Gerade im Bildungsbereich ist Südkorea viel stärker marktwirtschaftlich strukturiert als die meisten anderen Länder.“ Wie unterschiedlich die Resultate von Sozialismus und Kapitalismus bei einem einzigen Volk sein können, sieht man auch in Deutschland. In der DDR hatte die Kollektivierung der Landwirtschaft ähnlich katastrophale Folgen wie in der Sowjetunion und in China. Vor Fleisch- und Gemüseläden häuften sich die Schlangen. Als der neue Staatschef Erich Honecker Anfang der 1970er Jahre die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ verkündete – sprich: zuerst sozialstaatliche Maßnahmen statt der Schaffung besserer wirtschaftlicher Grundlagen –, leitete er eine massive Verschuldung der DDR ein.
„Notwendige Investitionen blieben aus, die Maschinen in den Fabriken veralteten, für die Entwicklung von Wissenschaft und Technik stand zu wenig Geld zur Verfügung.“ Der Rückstand gegenüber der BRD, wo Ludwig Erhard nach dem Zweiten Weltkrieg mutige Reformen eingeleitet hatte, vergrößerte sich zunehmend. 1989 hatten in der BRD drei Mal so viele Menschen einen Computer wie in der DDR. Der Besitz von Telefonen war in der DDR nur ein Privileg von Staatsbediensteten. Voll spannender Details sind auch Zitelmanns Schilderungen der Reformen des US-Präsidenten Ronald Reagan und der britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Dass der heutige Sozialismus in Schweden weit kapitalistischer ist, als viele wissen, wird in einem weiteren Kapitel erläutert. Am Ende seiner Weltreise hält Zitelmann fest: „Je mehr wirtschaftliche Freiheit es gibt, desto wohlhabender sind die Volkswirtschaften, desto wahrscheinlicher erreichen sie ein hohes Wirtschaftswachstum, desto höher ist sogar das Einkommen der ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung.“
Der Antikapitalismus gefährdet Europas Zukunft
Zitelmanns Sorge ist, dass wir vergessen, „was die Basis unseres wirtschaftlichen Wohlstandes ist“. Speziell seit der Finanzkrise, die, wie Zitelmann zu Recht unterstreicht, nicht auf Marktversagen zurückzuführen ist, drängt man den Kapitalismus zurück. Den Weg zur Planwirtschaft beschreitet Europa nicht mehr über Verstaatlichungen, sondern indem „die Politik den Unternehmen immer stärker hineinredet und sie durch Steuerpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Regulierung, Subventionen, Ge- und Verbote ihrer Handlungsfreiheit beraubt“. Gleichzeitig benehmen sich die Zentralbanken zunehmend „wie Planungsbehörden“. Sämtliche Intellektuelle Europas verschließen die Augen vor den Erfolgen des Kapitalismus. Allen empirischen Befunden zum Trotz halten sie den Kapitalismus für eines der größten Übel. Zitelmann bringt interessante Thesen für die Ursachen dieser Haltung. Zum einen haben Intellektuelle einen Hang zu utopischen Entwürfen. „Die Vorstellung, dass eine Wirtschaft ohne aktives Zutun und ohne Planung besser funktioniert als mit, ist vielen Intellektuellen fremd.“ Gleichzeitig sehen Intellektuelle sich selbst als altruistische Menschen, die sich für Benachteiligte einsetzen. Gegenüber dem nach Profit strebenden Kapitalisten fühlen sie sich moralisch überlegen. Dass selbst mittelständische Unternehmer oft ein höheres Einkommen haben als habilitierte Kulturwissenschaftler, empfinden sie als ungerecht. Sie verabsolutieren ihre eigene Bildung, denn „im Wertesystem des gebildeten Menschen bzw. des Intellektuellen ist derjenige Mensch anderen überlegen, der eine reichhaltigere Bildung und ein größeres Wissen besitzt“. Schließlich besteht auch noch ein Konkurrenzverhältnis zwischen der intellektuellen Elite und der Wirtschaftselite. Es bleibt zu hoffen, dass Bücher wie dieses einen Gegentrend einleiten werden. Zitelmanns exzellent recherchiertes Werk sollten besonders Politiker und Journalisten lesen. Die Lektüre öffnet die Augen dafür, welche Kurskorrekturen zu mehr Wohlstand und Wirtschaftswachstum führen.