Mit Worten manipulieren: Wenn der Flüchtling zum Schutzsuchenden wird
Mal sind es umstrittene Neoliberale, mal erzkonservative Rechtspopulisten, die als Klimaleugner auffallen, oder sogar den Schutzsuchenden das Leben schwermachen: Die Medien bedienen sich zahlreicher subtiler Manipulationswörter, die in den Köpfen vieler Menschen die gewünschten Reaktionen auslösen.
Als Griechenland vor dem Staatsbankrott und der Euro mit all seinen Geburtsfehlern unmittelbar vor dem Scheitern stand, machte plötzlich ein Wort Karriere, das sich in den Jahren danach als Dauerbrenner erweisen sollte. Ein einziges Wort, das indessen geeignet war, die Verantwortung für das Finanzdesaster zu neutralisieren und die Verantwortlichen in der öffentlichen Wahrnehmung zumindest zum Teil zu entlasten. Das Wort lautete Rettungsschirm. Mit einem Schirm assoziiert man gemeinhin schlechtes Wetter, im schlimmsten Fall Unwetter, für das niemand verantwortlich gemacht werden kann. Nicht einmal die griechische Regierung. Das Wort Rettung wiederum ist ohnehin positiv besetzt. Jemand ist in Gefahr – und wird glücklicherweise gerettet. Das Wort Rettungsschirm löst in vielen Köpfen mithin folgende Vorstellung aus: Ein kleines Land gerät unverschuldet in ein (finanzielles) Unwetter und wird von seinen Freunden (EU-Partnern) gerettet. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Politiker und Medien sprechen und schreiben seither von Rettungsschirmen.
Manche mögen diese Betrachtung als Wortklauberei bezeichnen. Andere hingegen als einen Beleg dafür, auf welch subtile Weise Bürger (also Steuerzahler und Wähler) hinter’s Licht geführt werden. Für den Linguisten Professor Hans-Jörg Schmid von der Uni München ist die Sache mit dem Euro-Rettungsschirm ein Beweis dafür, wie Metaphern eine konkrete Erfahrung (Unwetter, Schirm) auf ein abstraktes Konzept (Finanz- und Eurokrise) übertragen. Journalisten sollen bildhaft schreiben, das lernen sie idealerweise schon als Redaktionsvolontäre. Das macht Sinn, denn mithilfe von Metaphern kann man komplizierte Begriffe und Zusammenhänge einfacher erklären. Wie sonst als mit sprachlichen Bildern lässt sich einem Laien zum Beispiel der Begriff Blockchain erläutern?
Mit Metaphern manipulieren
Doch Metaphern eignen sich nicht nur zum Erklären, sondern auch zum Manipulieren. Kommen wir noch einmal auf den Rettungsschirm zurück. Im Englischen, der Sprache der Finanzwelt, ist von „bail out“ die Rede, wenn ein hoch verschuldeter Staat gerettet wird. Übersetzt heißt dies „herausholen“ oder sogar „aus dem Gefängnis auf Kaution herausholen“. Wer aus etwas herausgeholt werden muss, ist meist durch eigene Schuld in etwas hineingeraten. Das legt also eine ganz andere Verantwortung nahe als das deutsche Wort Rettungsschirm.
Das ist alles andere als ein Einzelfall, denn, wenn es darum geht, Menschen zu beeinflussen, geschieht dies oftmals auf sehr subtile Weise, indem ganz bestimmte Wörter und Begriffe gewählt werden. Journalisten bedienen sich dieser Methode ebenso gern wie Politiker. Wer hätte nicht schon das Wort „neoliberal“ gehört? Es weckt durchweg negative Assoziationen: unsozialer, herzloser Kapitalismus ohne Rücksicht auf die Menschen. Der verstorbene ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt sprach in diesem Zusammenhang einmal von Raubtier-Kapitalismus. Kaum jemand möchte sich heute von Leitartiklern als neoliberal zeihen lassen. Und als würde man versuchen, einen sprachlichen Schutzwall gegen diesen Vorwurf zu errichten, bekennen sich Politiker, Journalisten und Verbandsrepräsentanten bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur sozialen Gerechtigkeit. Dass der Neoliberalismus ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts eine ganz andere Bedeutung hatte und historisch betrachtet gleichsam als Wegbereiter der sozialen Marktwirtschaft – also einer mit starken sozialen Komponenten flankierten freien Wirtschaftsordnung – anzusehen ist, spielt heute keine Rolle mehr. Der Neoliberale ist in der Wahrnehmung vieler Medienschaffender fast schon so verabscheuungswürdig wie der Rechtspopulist. Von Rechtspopulisten wiederum reden und schreiben linksgestrickte Medienschaffende vor allem dann, wenn sie eigentlich gern den Begriff Rechtsradikale verwenden würden, sich dies aber aus Angst vor juristischen Konsequenzen nicht trauen.
Vom Klima- zum Holocaustleuger
An Begriffen, mit deren Hilfe man politisch Andersdenkende in die rechte Ecke schieben kann, mangelt es in der Tat nicht. Ein besonders infames Beispiel ist der Begriff Klimaleugner. Einmal abgesehen davon, dass man das Klima nicht leugnen kann, sondern allenfalls den sogenannten Klimawandel, ist das Wort Leugner in höchstem Maße diskriminierend. Ein Leugner stellt etwas Offenkundiges als unwahr dar. Doch darum geht es jenen, die diesen Begriff verwenden, gar nicht vorrangig. Sie wollen, dass in den Köpfen der Menschen die Verbindung zu Holocaustleugnern hergestellt wird.
Wieso ist es möglich, durch die Verwendung von bestimmten Wörtern erwünschte Assoziationen hervorzurufen und Menschen zu manipulieren?Um Sprache zu begreifen, aktiviert unser Gehirn „ganze Vorratslager“ abgespeicherten Wissens: Gefühle, Gerüche und individuelle Erinnerungen, sagt die Linguistin Elisabeth Wehling. „Worte transportieren also viel mehr Informationen, als wir glauben, und sie treiben uns politisch nach links oder rechts, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.“ Bestimmte Wörter aktivieren einen Deutungsrahmen – auch Frame genannt – in unseren Köpfen. Wenn also die Medien einen bestimmten Politiker oder Wissenschaftler als Klimaleugner diffamieren, dann weiß ein Großteil der entsprechend disponierten Menschen, was er von dem Betreffenden zu halten hat. Und die Assoziationskette von Rechtspopulist hin zu Nazi ist in der Regel eine kurze – so diskriminierend und infam sie im Einzelfall auch sein mag.
Daneben gibt es die scheinbar harmloseren Fälle der Manipulation mit Wörtern, die uns Tag für Tag vor allem in linken Medien begegnen. Einige Beispiele liefert der österreichische Publizist und frühere Tageszeitungs Chefredakteur Andreas Unterberger in seiner Analyse „Zwischen Lügenpresse und Fake News“ (erschienen im Verlag Frank&Frei). Er führt zum Beispiel ein erprobtes Kampfvokabel ins Feld: umstritten. Dieses Wort werde, so Unterberger, mit Vorliebe verwendet, wenn es gelte, „konservative, wirtschaftsliberale oder rechtspopulistische Positionen und Personen ins Zwielicht zu rücken“. Das funktioniert in Österreich anscheinend ebenso gut wie in Deutschland. Denn wer könnte sich daran erinnern, dass jemand aus dem Führungszirkel der Grünen jemals als umstritten bezeichnet worden wäre? Als zweites Beispiel nennt Unterberger das Wort erzkonservativ. Erzkonservative Politiker gibt es offenbar jede Menge (jedenfalls aus linker Sicht), erzsozialistische offenbar gar keine – und das hängt keineswegs nur mit dem in den meisten europäische Staaten zu beobachtenden Schwund der Sozialisten zusammen.
Journalisten auf Linie gebracht
Wenn sich Journalisten nicht in vorauseilendem Gehorsam der politisch korrekten Sprachregelung unterwerfen, dann werden sie von Verbänden, Parteien und staatlichen Institutionen auf Linie gebracht. Die dem deutschen Bundesinnenministerium unterstehende Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlichte schon 2007 im Internet einen kleinen “Formulierungs-Ratgeber für Journalisten“ für Berichte über Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Politisch zunehmend inkorrekt ist die Verwendung des Begriffs Flüchtling. Begründung: Die Endung -ling macht die Menschen klein und wertet sie ab. Prompt ist in den Medien seit einiger Zeit von Schutzsuchenden die Rede. Auch die Deutsche Presse-Agentur bedient sich längst dieses bemerkenswerten Wortes. „Dass jemand, der nach Deutschland kommt, um hier seinen Hass zu entladen, Attentate zu begehen und Menschen zu töten, wohl schwerlich als Schutzsuchender bezeichnet werden kann, sollte sich eigentlich von selbst verstehen“, wundert sich die FAZ.
Doch da – um den französischen Cartoonisten Chaval zu zitieren – Humor die Höflichkeit der Verzweiflung ist, wollen wir zum Schluss noch einen kurzen Blick ins Genderwörterbuch werfen. Unter der Internetadresse geschicktgendern.de erhalten Journalisten und alle anderen nach politischer Korrektheit strebenden „BürgerInnen“ konkrete Empfehlungen. Politisch unkorrekt ist es zum Beispiel, von Aktionären zu sprechen. Der politisch korrekte Journalist schreibt über Personen mit Aktienbesitz. Und selbst, wenn der Arzt eindeutig männlich ist, empfiehlt es sich, von Behandlungsterminen satt von Arztterminen zu sprechen. Um Ampelmännchen nicht zu bevorzugen(vielleicht gibt es irgendwo sogar Ampelweibchen), regt das Genderwörterbuch die Verwendung des Begriffs Ampelfigürchen an. Und aus dem Schneemann wird eine Schneefigur. Mal sehen, wann diese Wörter zum ersten Mal in den Medien auftauchen.