EU-Frömmigkeit führt nicht zur EU-Reform

In der Europäischen Union werden den Bürgern politische Entscheidungen immer öfter als alternativlos verkauft, Direktiven aus Brüssel sollen möglichst widerspruchslos umgesetzt werden. Das erinnert an untergegangene Epochen religiöser Gefolgschaft.

Es verhält sich mit der blinden Gläubigkeit zu allen Zeiten ähnlich. So wiegen sich manche religiöse Wortführer in der vermeintlich sicheren Überzeugung, den Willen Gottes zu kennen. Dazu gehört offenbar auch, zu wissen, welches Parteiprogramm diesem Gott zusagt, sie interpretieren die göttlich verfügten Vorschriften und die Moral, welche der Allmächtige einfordert. Diese besonders Frommen finden sich im Klerus wie unter Weltlichen. Manche werden gar zu Gotteskriegern. Verstanden haben sie letztlich gar nichts. Denn mit solchen kruden Überzeugungen beginnt die eigentliche Gotteslästerung, so man an einen allmächtigen, göttlichen Geist glaubt. Mit Erfindungen wie dem Blitzableiter, der die mächtigen Waffen des Olymps und so manchen Gottesfluch verbannte, setzte die Aufklärung ein. Es wurde Licht auf einer neuen Kopfebene. Die Vernunft und der kritische Geist begannen sich an Verboten und Geboten der religiöse Führung zu reiben. Die Frommen, die blindlings den heiligen Texten folgten wurden weniger. Gegenwärtig werden sie wieder mehr – aber das ist eine andere Geschichte, zumal alle politischen Ideen versagen und dieses Vakuum im Namen Gottes neu gefüllt wird.

Auch der Kommunismus kannte zu seinen Blütezeiten Auswüchse, die an religiöse Traditionen erinnerten. Fast schien es, als wären Macht und Riten der orthodoxen Kirche in der Sowjetunion von besonders eifrigen Proponenten der Partei nahtlos übernommen worden. Moskau, das dritte Rom, das sich als Hort des wahren Christentums sah, wurde unter Lenin und Stalin so wie deren Nachfolgern bis 1991 zum Zentrum des kommunistischen Heilsgedankens. Auch hier galt es als großer Frevel, die Allmacht der Partei und die Erlöserrolle der Schriften von Karl Marx in Zweifel zu ziehen. Als die frommen Heilsversprechen infolge von Not und Abwendung der Gläubigen nicht mehr einzulösen waren, zerbrach die fromme Gemeinde. Sie existiert noch in China, aber in einer kuriosen Variante, die Marx mit Konfuzius sowie beinhartem Kapitalismus
mischt.

Die EU hat im Bewusstsein der Regierungen und Bürger nunmehr eine ähnlich sakrosankte Position eingenommen.Die EU-Hörigkeit, die im demütigen Umsetzen aller noch so fragwürdigen Direktiven besteht, hat bereits Züge einer zeitgenössischen Frömmigkeit angenommen, die an untergegangene Epochen religiöser Gefolgschaft erinnert. War es einst das Gottesgnadentum, welches die Dynastien, ob Bourbonen oder Habsburger, legitimierte, so ist es in unserer Zeit ein Zusammenwirken von Beamten, Lobbygruppen parat mit Gesetzesentwürfen und einigen relativ wenigen einflussreichen Politikern, welche das politische Geschehen vorschreiben und den Alltag der Menschen bis ins Detail regulieren. Wer sich diesen Vorgaben kritisch entgegenstellt, ob als Individuum oder als Partei, schlittert ins Abseits. Es erfolgt zumindest die mediale Exkommunizierung, die alle Kritik als anti-europäisch, populistisch und überhaupt rechtsextrem rügt. Hugh. Wer nicht fromm den Losungen der EU-Institutionen folgt, riskiert nicht nur den Pranger. Letztlich erfolgen in dieser Lehenspyramide Mittelvergabe, Förderungen und gutes Salär für die unmittelbare Gefolgschaft. Wirtschaftliche Abhängigkeiten fördern kaum kreatives Denken. Da bleibt mancher fromm, auch wenn er bei seiner Gewissensbefragung auf zu viele Widersprüche zwischen Theorie und Praxis des sogenannten großen europäischen Projekts trifft. Das Glaubensbekenntnis unserer Zeit umfasst den ideellen Schwur auf das Supranationale und die Migration. Der eigentliche Gründergedanke des deutsch-französischen Friedens und viele andere Ideen der frühen Phase europäischer Einigung sind schon lange der Ernüchterung gewichen.

Der US-Politiker Strobe Talbott formulierte es vor rund einem Jahr so: „Die EU begann als Traum von Churchill, Schuman, Monnet; dann Jahrzehnte prächtiger Realität; nun ein potenzieller Alptraum.“ Die EU zerbricht an der Migration, die nicht vom Himmel fiel, sondern welche Demographen bereits angekündigt hatten. Die Euro-Rettung brachte 2009 den Nord-Süd-Graben. Die Haltung zu offenen Grenzen, welche viele EU-Staaten, die 2004 Teil der Erweiterung wurden, nicht mittragen wollen, führte zu einem tiefen Ost-West-Bruch. Die EU in ihrer Variante Post-Maastricht steht an der Kippe und damit auch Millionen von Arbeitsplätzen. Wer nach Reformen ruft, wie das Brueghel Institut in Brüssel oder so mancher Skeptiker, der riskiert Ablehnung. Denn die Gemeinschaftswährung ist um jeden Preis zu halten, wie auch an den Grundfreiheiten – also der Personenfreizügigkeit –nicht zu rütteln sei, zumindest aus Brüsseler Warte. Jeder Gedanke an den Nationalstaat ist zu unterbinden, wie einst andere Doktrinen das Kollektiv diktierten. Doch noch gehen die Steuern an nationale Finanzministerien und noch ist im Gegenzug dafür die Sicherung von Ordnung eine nationale Aufgabe. Ohne Nationalstaat gibt es keine Freiheit des Individuums und keine Gleichheit vor dem Gesetz. All dies zu benennen, leisten sich nur wenige Freigeister.

Frömmigkeit hilft in turbulenten Zeiten nicht weiter und die Reform muss warten. Ein Blick in die Geschichte zeigt, was folgt.

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