Die SPÖ 2018: Kein Land in Sicht
Der Gang in die Opposition hat die heimische Sozialdemokratie in eine tiefe Krise gestürzt. Für einen Neuanfang fehlen ihr aber die Ideen, Konzepte und das Personal.
Da sitzt er nun auf der Oppositionsbank, der arme Tor, und ist so klug als wie zuvor. Gramgebeutelt quält sich der ehemalige Hoffnungsträger der SPÖ als einfacher Abgeordneter durch die parlamentarischen Debatten und realisiert inmitten der politischen Neuordnung: Er wird nicht mehr gebraucht. Jetzt in der ersten Oppositionsreihe sitzend, und unmittelbar retrospektiv betrachtet, ging ihm alles viel zu schnell. Vom Kanzler zum Komparsen. In exakt 580 Tagen. Damit lässt er sogar Alfred Gusenbauer in der ewigen Bestenliste als kürzestdienender Bundeskanzler der Republik hinter sich.
Dabei hätte alles anders kommen sollen. Die leidgeprüfte Sozialdemokratie aus der Misere zu holen, das war Christian Kerns holdes Ansinnen. An diesem Anspruch ist er kläglich gescheitert. Im Frühjahr 2016, nach den legendären Buhrufen für Werner Faymann beim SPÖ-Maiaufmarsch, war man innerhalb wie auch außerhalb der Partei sicher, dass der Tiefpunkt erreicht sei. Ein personeller Coup sollte die Trendwende einläuten, die latente Untergangsstimmung mit dem selbstsicher auftretenden Manager Kern zumindest starkgeredet werden. Doch der ausgehöhlten Sozialdemokratie gelang dieses ambitionierte Manöver auch mit neuer Führungspersönlichkeit mitnichten.
Jetzt wissen wir: Aus dem Konsolidierungskurs wurde nichts und der absolute Tiefpunkt sollte noch bevorstehen. Der Post-Faymann-Aufbruchsstimmung folgte nach der Nationalratswahl im Herbst 2017 ein politischer Kater der Sonderklasse. Mit dem Wahlvolk ging letztlich auch die Kanzlerkrone verloren. Selbstvergessen und spurlos kämpft die Sozialdemokratie seither um ihre Daseinsberechtigung. Unfreiwillig musste sich die SPÖ in die Oppositionsrolle fügen, nachdem sie in den vergangenen 48 Jahren ganze 42 Jahre den Kanzler gestellt hatte. Demokratisch wegen Regierungsunfähigkeit strafversetzt, wissen Kern und Co. nun nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht, was sie mit sich und ihrer Programmatik anstellen sollen. Während der jüngste Bundeskanzler aller Zeiten reformlustig vom Regierungspult spricht, hadert der kürzeste Kanzler aller Zeiten mit dem Lauf der Geschichte und seinem eigenen Versagen.
Zwar will der SPÖ-Parteichef jenen Zwischenrufern trotzen, die seinen Rücktritt schon am Tag der Wahlniederlage vorausgesagt haben, sinnreich und überzeugend kann er den schlagkräftigen obersten Parteistrategen auch als Oppositionsführer nicht mimen. Daran ändert auch die stolze Gehaltserhöhung, die ihm die Partei vergönnt, nicht viel. Ebenso wenig können ein paar abgegriffene Wortwendungen seines aus der SPD angekarrten neuen Kommunikationschefs in Richtung Regierung keinesfalls darüber hinwegtäuschen, dass die Sozialdemokratie, von enormen Existenzängsten geplagt, aus all den folgenschweren Niederlagen nichts gelernt hat. Die Krisenanalysen der letzten Jahre und Jahrzehnte lesen sich heute genauso aktuell. Es scheint, als hätten sich die Genossen mit der Endgültigkeit ihrer Situation abgefunden.
Modernisierung ist und bleibt für die SPÖ ein Fremdwort. Der antikapitalistische, antibürgerliche Reflex ist ein Verhaltensmuster vergangener Zeiten, das sich ohne Kahlschlag so gut wie nicht beseitigen lässt. Der Klassenfeind muss partout auf Abstand gehalten werden. Das zeigt unter anderem die rote Abwehrreaktion auf das gerade von Kurz in den Raum gestellte Friedensangebot rund um die Wahlkampfaffären. Die Sozialdemokratie sitzt in der Falle. Ein paar strukturelle Alibiübungen wie die Öffnung für Nichtmitglieder oder eine „echte Demokratisierung“ (Max Lercher, SPÖ-Bundesgeschäftsführer) innerhalb der Partei eliminieren weder die resistenten ideologischen Keime, welche die Genossen befallen, noch führen sie zu einer neuen Identität, die für ein Überleben unabdingbar wäre.