Neue Seidenstraße: Bleibt Europa auf der Strecke?

Die „One-Belt-One-Road“-Initiative Chinas schafft neue, kräftige Lebensadern für den eurasischen Wirtschaftsraum. Die Zurückhaltung vor allem der westeuropäischen Staaten und der Brüsseler Bürokratie lässt nicht nur riesige Chancen ungenutzt, sie droht sogar die EU weiter zu spalten.

Vor einigen Monaten bekamen Tausende von deutschen Pensionären irritierende Post von ihrem ehemaligen Arbeitgeber. Die bis dahin für die Zahlung der Betriebsrente zuständige Versicherung sei an die Frankfurter Leben verkauft worden, hieß es in der Mitteilung. An den monatlichen Zahlungen werde sich jedoch nichts ändern. Was die wenigsten Empfänger dieses Schreibens wussten: Bei der Frankfurter Leben handelt es sich um einen Spezialabwickler, hinter dem überwiegend der chinesische Finanzinvestor Fosun steht. Den Insidern der Finanz- und Versicherungsbranche sind die Chinesen schon seit einigen Jahren bekannt. Sie übernahmen traditionsreiche Privatbanken ebenso wie große Finanzkonzerne.

Auch in Österreich sorgte der Name Fosun in den vergangenen Wochen für Aufsehen. Die finanzstarken Chinesen übernahmen die Mehrheit an dem Vorarlberger Luxus-Textil-Hersteller Wolford. Zuvor hatte Fosun schon Anteile an der deutschen Tom Tailor Group und dem französischen Luxus-Label Lanvin erworben. China bleibe ein wichtiger Wachstumstreiber für den globalen Luxusmarkt, sagt Joann Cheng, Präsidentin der Fosun Fashion Group. Da könne ein Unternehmen wie Wolford die Ressourcen von Fosun in China und weltweit für das eigene Wachstum nutzen.

Linke wollen „genau hinschauen“

Klingt zumindest im ersten Moment überzeugend. Um es auf Neudeutsch auszudrücken, könnte man von einer Win-win-Situation sprechen. Doch während Unternehmer und Manager das rasant zunehmende Engagement der Chinesen und die sich daraus ergebenden Chancen überwiegend begrüßen, kommen aus der Politik – und hier vor allem aus dem linken Lager – zunehmend kritische Stimmen. Vor allem, wenn es nicht um Mode-Label wie Wolford, sondern um Hightech-Unternehmen geht. „Wir müssen genauer hinschauen, wenn chinesische Unternehmen mit staatlicher finanzieller Unterstützung strategisch wichtige Hochtechnologieunternehmen erwerben“, gab unlängst der bislang weitgehend unbekannte Wirtschaftssprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sören Bartol, zu Protokoll. „Näher hinschauen“ ist allerdings wieder eine der vielen typischen Politiker-Sprechblasen ohne konkreten Inhalt.

„Wirtschaftsspionage ist nicht mehr notwendig, wenn man unter Nutzung des liberalen Wirtschaftsrechts die Unternehmen einfach aufkaufen und sie dann ausweiden oder ausschlachten kann; jedenfalls, was das Know-how angeht“, warnte unlängst der deutsche Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen.

Andere sehen aber durchaus die gewaltigen Chancen, die aus einer vertieften wirtschaftlichen eurasischen Zusammenarbeit erwachsen könnten, und zwar unabhängig von den höchst unterschiedlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen in China und der Europäischen Union. So soll denn auch die Zusammenarbeit mit China ein Schwerpunkt der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 sein.

Chinas Volvo-Deal und Daimler-Einstieg

Dass chinesische Investoren in durchaus erheblichem Umfang in Europa investieren, ist keineswegs neu. Bereits Ende 2009 erwarb der chinesische Automobil- und Motorradhersteller Geely vom kriselnden US-Konzern Ford den schwedischen Automobilhersteller Volvo für rund 1,8 Milliarden US-Dollar. Wären die Chinesen damals nicht eingestiegen, wer weiß, vielleicht gäbe es die Traditionsmarke Volvo inzwischen nicht mehr. So aber schreibt Volvo heute wieder schwarze Zahlen.


Volvo wurde bereits 2009 vom chinesischen Konzern Geely übernommen

An diesen schon neun Jahre zurückliegenden Schweden-Deal erinnerten sich viele, als vor wenigen Wochen derselbe chinesische Konzern bei Daimler einstieg und rund 9,7 Prozent der Anteile an dem Stuttgarter Autobauer erwarb. Ziel sei es, eine Allianz gegen neue US-Wettbewerber wie Tesla und Google zu schmieden, begründete Geely-Chef Li Shufu sein Milliarden-Investment bei den Schwaben.

Zwei neue Entwicklungen lassen das chinesische Engagement in Europa nun allerdings in einem neuen Licht erscheinen. Zum einen haben Art und Umfang der chinesischen Einkäufe deutlich zugenommen. Der Fokus liegt dabei weiterhin auf Unternehmen in Deutschland, doch haben die Investoren aus dem Land der Mitte zunehmend auch Österreich im Visier ihrer Akquise-Aktivitäten. Bekannt werden dabei naturgemäß die großen Milliarden-Deals; etwa, wenn die Chinesen den Traditionskonzern Krauss-Maffei, den Augsburger Industrieroboterhersteller Kuka oder die italienische Reifenmarke Pirelli erwerben. In Österreich sorgten unter anderem die Übernahme von Tele 2 durch den Hongkonger Telekomkonzern Hutchison Drei für rund 111 Millionen Dollar, die Akquisition der Luftfahrtfirma Diamond Aircraft durch die Wanfeng Aviation Industry sowie der Einstieg der Haier Group beim Kärntner Solarunternehmen GREENone TEC für Schlagzeilen.

China kauft die Spezialisten

Mittlerweile ist das Engagement der chinesischen Investoren sehr breit gestreut. Sie kaufen hoch spezialisierte, mittelständische Unternehmen – gern auch in der Provinz. Außerhalb der Branche ist zum Beispiel das deutsche Unternehmen Cotesa Composites ebenso wenig bekannt wie das rund 16.000 Einwohner zählende sächsische Städtchen Mittweida, wo Cotesa seinen Sitz hat. Das Unternehmen beliefert die Flugzeughersteller Airbus und Boeing mit Kohlefaser-Bauteilen. Nach einer längeren Hängepartie wurde Cotesa im Frühjahr von AT&M, einer Tochter des Staatskonzerns China Iron & Steel Research Institute Group, übernommen und soll nun auch den staatlichen chinesischen Flugzeugbauer Comac beliefern.

Verstärkt möchten sich die Chinesen auch auf dem internationalen Luxus- und Sportmarkt etablieren. Sie kaufen daher Weingüter in Frankreich, Fußballvereine in Italien und Luxusuhren-Hersteller in der Schweiz (letzteres bisher allerdings nur mit überschaubarem Erfolg). Die Übernahme der Mehrheit von Wolford ist ein weiterer Mosaikstein in dieser Strategie. Sogar der exklusive Kaviar-Markt gehöre mittlerweile mehrheitlich den Chinesen, weiß Branchenexperte Frank Brömmelhaus.

Neben dieser zunehmend diversifizierten Aquisitions-Strategie stößt noch ein weiterer wichtiger Aspekt bei manchen europäischen Politikern auf Argwohn. Noch vor einiger Zeit galt das von der Weltbank im Jahr 2013 veröffentlichte Papier „China 2030“ als bindender Wegweiser für die Zukunft der chinesischen Wirtschaft. Darin heißt es unter anderem: „Es ist zwingend erforderlich, dass China […] ein marktbasiertes System mit solider Grundlage entwickelt […], während ein lebhafter Privatsektor die wichtigere Rolle übernimmt, was das Vorantreiben von Wachstum anbelangt.“ Als dann allerdings Xi Jinping zum chinesischen Präsidenten avancierte, trat das Projekt „China 2025“ an die Stelle von „China 2030“. Es sieht vor, international wettbewerbsfähige Qualitätsware auf den Markt zu bringen. „Made in China“ soll mittel- bis längerfristig einen ähnlich hohen Standard verheißen wie „Made in Germany“ und den Apples und Samsungs dieser Welt erfolgreich Konkurrenz machen. Weg vom Image des billigen Jakobs und der „verlängerten Werkbank“, hin zum geschätzten Anbieter von hochwertiger Elektronikware, modernen Flugzeugen und künstlicher Intelligenz, lautet die Botschaft. In der Weltraumtechnologie setzt das Land der Mitte schon heute Zeichen. An Pfingsten startete vom Raumfahrtzentrum Xichang eine Rakete vom Typ „Langer Marsch“ mit einem Relais-Satelliten. Dieser ist ein wichtiger Bestandteil des chinesischen Plans, schon bald als erste Nation der Welt mit einem Roboterfahrzeug die erdabgewandte Seite des Mondes zu erkunden.

China mischt den Smartphone-Markt auf

Auch im Geschäft mit hochwertiger Elektronik für Privatkunden können chinesische Marken inzwischen punkten. Prominentestes Beispiel hierfür ist der Mobilfunkkonzern Huawei. Derweil will der chinesische Technologie-Anbieter Xiaomi – der weltweit viertgrößte Smartphone-Hersteller – zunehmend in Europa Fuß fassen. Nach eigenen Angaben strebt die Marke trotz unübersehbarer Konkurrenz durch Apple und Samsung einen Marktanteil von zehn Prozent an. Erst vor wenigen Wochen hat Xiaomi in der Shopping City Süd bei Wien seinen ersten „Mi Store“ im deutschsprachigen Raum eröffnet.

Die neue Strategie „China 2025“ wird flankiert von der „One-Belt-One Road“-Initiative, mit deren Hilfe die Transportzeiten von China nach Europa und zurück sowohl auf See („Belt“) als auch per Eisenbahn („Road“) deutlich reduziert werden sollen. Peking versichert, von dieser Initiative würden Dutzende von Ländern entlang der Seidenstraße mit mehreren Milliarden Menschen profitieren. Die EU hingegen kritisiert mehrheitlich die Pläne Pekings. In einer gemeinsamen Erklärung von 27 der 28 EU-Botschafter in Peking (lediglich Ungarn vertrat eine andere Position) hieß es unlängst, die Seidenstraße-Initiative laufe der EU-Agenda für die Liberalisierung des Handels zuwider und verschiebe das Kräfteverhältnis zugunsten subventionierter chinesischer Unternehmen.

Ganz offenkundig spielen dabei transatlantische Vernetzungen eine wichtigere Rolle als die Wahrnehmung von erheblichen Chancen, welche die „One- Belt-One-Road“-Initiative birgt. Sie stellt im Grunde eine Art Neuauflage der historischen Seidenstraße dar. Über diese Routen wurden seinerzeit wertvolle Seide, edles Porzellan und exotische Gewürze von China an die Mittelmeerküste transportiert. Die neue Seidenstraße soll zum einen die Schiffsverbindungen zwischen West-Europa und dem Fernen Osten beschleunigen, zum anderen aber eben auch eine eurasische Landbrücke herstellen, auf die klassische Seemächte keinen Einfluss haben.

Zusammenarbeit in der „16+1-Gruppe“

Die von der Europäischen Union bislang an den Tag gelegte eher skeptische  Haltung gegenüber der Seidenstraße birgt nicht zuletzt auch die Gefahr einer Spaltung der EU. Tatsächlich zeigen sich nämlich die Staaten Mitteleuropas viel aufgeschlossener gegenüber der „One-Belt-One-Road“-Initiative als zum Beispiel Deutschland und Frankreich. Die enge Zusammenarbeit mit China wird vor allem innerhalb des „16+1-Formats“ gepflegt (16 steht für die teilnehmenden Staaten aus Zentral- und Südosteuropa, die 1 für China). Unter den 16 europäischen Ländern sind 11 östliche EU-Mitglieder, wie Polen und Ungarn, sowie fünf Nicht-EU-Staaten auf dem Balkan, darunter Serbien. Die   europäischen Staaten hoffen auf chinesisches Geld und neue Handelschancen; die Chinesen wiederum sehen in diesen Ländern wichtige Partner für ihre „One- Belt-One-Road“-Initiative. Die EU-Staaten in der „16+1“-Gruppe erkennen in dem chinesischen Engagement die Chance, sich längerfristig milliardenschwere Investitionen in die Infrastruktur ihrer Länder zu sichern, ohne hierfür von Brüssel kujoniert zu werden – etwa mit dem Druck, Migranten aufzunehmen. Die Nicht-EU-Mitglieder brauchen sich zudem auch nicht an die Ausschreibungsregeln Brüssels zu halten, was Deals mit China deutlich vereinfacht.


Am 27. April 2018 traf in Wien der erste direkte Güterzug aus der chinesischen Wirtschaftsmetropole Chengdu ein

Somit besteht nicht zuletzt ein Zusammenhang zwischen der Migrationspolitik Brüssels und Berlins einerseits und der Einstellung der Ost- und Mitteleuropäer zur Seidenstraße-Initiative der Chinesen andererseits. Egal, welche Drohungen und Verwünschungen von der deutschen Regierung und der Europäischen Kommission kamen, die Visegrád-Gruppe – also Polen, die Slowakei, Tschechien und Ungarn – verfolgt eine vollkommen andere Linie als Angela Merkel und Brüssel. Sie kritisierte die Kurzsichtigkeit der Kanzlerin und hielt an ihrer Ablehnung der von Brüssel und Berlin diskutierten Quotenregelung fest“, schreibt Douglas Murray in seinem vielbeachteten Bestseller „Der Selbstmord Europas“. Die Mittel- und Osteuropäer ticken anders – und das spiegelt sich auch in deren Einstellung zur „One-Belt-One-Road“-Initiative wider.

Ein wichtiger Partner im Rahmen von Chinas maritimer Seidenstraße ist das wirtschaftlich noch immer angeschlagene Griechenland. In den griechischen Hafen Piräus haben chinesische Unternehmen in den vergangenen Jahren über 1,5 Milliarden Euro investiert und den Containerumschlag erheblich ausgebaut. Ziel ist es, die Waren über eine neue Bahnverbindung über Serbien nach Budapest zu transportieren und von dort aus in die europäischen Staaten zu liefern. Darüber hinaus dient Piräus als Anlaufstelle für Hunderttausende von chinesischen Touristen, die jährlich in Griechenland erwartet werden (2018 sollen es schon über 200.000 sein). Der eingangs erwähnte Investor Fosun – Anteilseigner bei der Thomas Cook Group – steckt hohe Summen in den Ausbau und in die Modernisierung des griechischen Tourismus, vor allem in das aus Sicht der Chinesen zukunftsträchtige Kreuzfahrtgeschäft.

Auf der Seidenstraße von China nach Wien

„One-Belt-One-Road“ – das ist längst mehr als Zukunftsmusik. Vor wenigen Wochen traf bereits der erste direkte Güterzug von der chinesischen Wirtschaftsmetropole Chengdu in Wien ein. Er legte die rund 9.800 Kilometer auf der nördlichen Seidenstraße zurück und brauchte für die Fahrt von China über Kasachstan, Russland, die Ukraine und die Slowakei nach Österreich nur 15 Tage. Der 600 Meter lange Zug transportierte unter anderem elektronische Bauteile und Haushaltswaren von China zum Güterzentrum Wien Süd. Die Millionenstadt Chengdu liegt an der Seidenstraße und ist ein wichtiger Teil von Chinas Freihandelszone.

Unverkennbar wächst Eurasien zu einem gigantischen Wirtschaftsraum zusammen. Vor allem die westlichen Staaten der EU stehen noch abseits, dabei könnte das krisengeschüttelte Europa mit der Beteiligung an diesem Projekt wieder ein starker Partner werden. Transatlantische Rücksichtnahme und die paralysierende Wirkung einer falschen Migrationspolitik scheinen dies zu verhindern.

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