Geht mit dem linearen Fernsehen auch der ORF unter?

Das klassische TV ist ein Auslaufmodell. Es wird von On-Demand-Diensten und Streamingangeboten verdrängt. Bedeutet dieser Wandel in der Mediennutzung auch das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Eine Analyse von Werner Reichel

Die Stimmung in der ORF-Belegschaft war schon besser. Das liegt aber nicht so sehr an der türkis-blauen Regierung, die im ORF so beliebt wie Pest und Cholera ist, sondern an Netflix, YouTube und Co. Die Plattformen und On-Demand-Dienste graben dem linearen Fernsehen das Wasser ab. TV entwickelt sich zum Senioren-Medium, wie neue Zahlen aus Deutschland belegen. In den jungen Zielgruppen verlieren privates und vor allem öffentlich-rechtliches Fernsehen immer mehr an Bedeutung.

Auf den ersten Blick schaut es für das klassische TV noch ganz gut aus. Laut der Studie von Next Media Hamburg und Statista nutzen nach wie vor 80 Prozent der Deutschen regelmäßig lineare Bewegtbild-Angebote. Das ist ein Wert, an den die anderen Videoangebote nicht heranreichen. YouTube wird von 67 Prozent der Befragten, die Mediatheken von TV-Sendern von 59 Prozent regelmäßig genutzt, Video-on-Demand-Anbieter wie Netflix und Amazon Prime Video kommen auf 53 Prozent.

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich für die klassischen TV-Sender jedoch ein düsteres Bild: Wirklich gut verankert sind sie nur noch bei den Älteren und Alten. 87 Prozent der 50- bis 65-Jährigen schauen regelmäßig lineares Fernsehen. Bei den 18- bis 29-Jährigen liegt der Wert mit 67 Prozent deutlich darunter und deutlich hinter Videoplattformen (81 Prozent) und Streamingdiensten (73 Prozent). Zum Vergleich: Die über 50-Jährigen nutzen nur zu 35 Prozent die On-Demand-Angebote. Die Abonnentenzahlen von Netflix steigen rasant. Hatte Netflix im Jahr 2011 gerade einmal 22 Millionen Abonnenten, waren es im 4. Quartal 2018 bereits knapp 150 Millionen.

Für die noch Jüngeren, für die Kinder, spielt lineares Fernsehen so gut wie keine Rolle mehr. Sie werden bereits mit Tablets, Netflix und YouTube groß und haben als erste Generation keinen emotionalen Bezug mehr zum Fernsehen. Lineares TV ist für die Generation von Morgen so etwas wie ein Kassettenrecorder oder eine Schreibmaschine. Für sie ist es selbstverständlich, dass man Inhalte dann konsumiert, wenn man will und nicht, wenn sie von einem Sender zu einer bestimmten Zeit ausgestrahlt werden. Selbst zwei Drittel der jetzigen jungen Erwachsenen glauben, dass es klassisches Fernsehen in zehn Jahren nicht mehr geben wird.

So schlimm wird es nicht werden, auch Fernsehen wird in Nischen überleben, so wie das Segelschiff, die Vinylplatte oder die Kutsche. Aber die Ära des linearen Broadcastings geht definitiv zu Ende, ist in vielen Bereichen bereits zu Ende gegangen. Die Rolle als Leitmedium hat der klassische Rundfunk längst an die Online-Medien abgegeben.

Was bedeutet das für den ORF? Sinkt mit der Bedeutung des linearen Fernsehens auch die Relevanz des ORF, zumal er schneller Zuseher verliert als das Medium Fernsehen: 2018 konnten die beiden ORF-Hauptsender beim TV-Marktanteil die 30-Prozent-Hürde nur noch mit Ach und Krach überspringen.

Trotz dieser negativen Entwicklung bleibt der ORF politisch weiter interessant, da er bei der Zielgruppe 60+ auch in den nächsten Jahren das führende Meinungsmedium bleiben wird. Diese Zielgruppe ist mit über zwei Millionen Personen wahlentscheidend und damit für alle Parteien, insbesondere für die Seniorenpartei SPÖ, wichtig. Bei den Jungen ist der ORF längst abgemeldet. Dementsprechend schlecht schaut es in diesen Zielgruppen auch für die ORF-Liebkinder SPÖ und Grüne aus. Die linke ORF-Dauerpropaganda erreicht diese Wählergruppen kaum noch, die Wahlergebnisse sind dementsprechend schlecht.

Der ORF ist aber nicht nur Fernsehen. Im Radio dominiert er nach wie vor den heimischen Markt mit über 70 Prozent Marktanteil bei den Hörern 10+.  Dem Medium Radio droht allerdings das Schicksal des Fernsehens. Dort heißen die Konkurrenten nicht Netflix oder YouTube, sondern Spotify und Apple Music. Die Reichweiten des klassischen Radios sinken von Jahr zu Jahr.

Bleiben dem ORF mittel- und langfristig nur seine Online-Angebote. Auch hier ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk führend. Laut Österreichischer Webanalyse (ÖWA) liegt das ORF.at-Network mit 3,6 Millionen Unique Usern pro Monat bei den österreichischen Online-Angeboten an erster Stelle und ist damit eine Meinungsmacht. Die politische Schlagseite ist online mindestens genauso links wie in TV und Radio.

Allerdings ist das Konzept des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Fernsehen und Radio verknüpft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mussten in den zerstörten Ländern Europas teure Sendernetze und Sendestationen aufgebaut werden, zudem sind analoge terrestrische Frequenzen für TV und Radio ein knappes Gut, das Angebot an möglichen Sendern also durch die Naturgesetze stark eingeschränkt. Gründe, die damals für die Gründung öffentlich-rechtlicher Anstalten gesprochen haben, Gründe, die im digitalen Zeitalter allesamt weggefallen sind. Die teuren öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten werden von der Politik weiter am Leben gehalten, weil sie in praktisch allen Ländern wichtige Stützen des politisch korrekten Systems, der Neosozialisten sind, die, wenn sie auch nicht mehr in der Regierung sitzen, trotzdem in vielen gesellschaftlichen Bereichen weiterhin den Ton an- und die Richtung vorgeben.

Erreichen aber lineares Fernsehen und Radio immer weniger Menschen, also Wähler, wird und muss auch von der Politik der Weiterbestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hinterfragt werden. Warum sollte ein Politiker die unbeliebten Gebühren oder gar Gebührenerhöhungen vor den Bürgern rechtfertigen, wenn die öffentlich-rechtlichen Programme und Inhalte von immer weniger Menschen konsumiert werden. Dann sind sie sowohl für die Bürger als auch für die Politiker nicht mehr von Interesse. Denn nicht nur TV und Radio stecken in der Krise, sondern auch linke Meinungen. Sie werden immer weniger nachgefragt, entwickeln sich zum politischen Ladenhüter. Das ist für den ORF doppelt bitter: Die Menschen nutzen immer weniger lineare TV-Angebote und interessieren sich immer weniger für linke Welterklärer und Besserwisserei. Nur noch die Älteren und Alten bleiben. Zumeist aus Gewohnheit, nicht aus Überzeugung.

Öffentlich-rechtliche Anstalten waren stets auf den Rundfunkbereich beschränkt. Es gab in der Nachkriegszeit in Europa keine öffentlich-rechtlichen Zeitungen (die Wiener Zeitung ist eine Ausnahme), weil es auch damals keine Gründe für gedruckte Staatsmedien gab, außer in den kommunistischen Diktaturen.

Zudem werden Relevanz und Reichweite von ORF.at ohne die (noch) starken Rundfunkmarken ORF2 oder Ö3 im Hintergrund, ohne die Synergien der ORF-TV- und -Radiosender dramatisch abnehmen. Selbst Twitter-Könige wie Armin Wolf würden ohne den ORF und seinen Reichweiten nur noch in der linken Meinungsunterliga spielen. Schließlich verdankt Wolf seine Popularität und Bekanntheit weniger seinen journalistischen Leistungen als vielmehr der Tatsache, dass er seit vielen Jahren regelmäßig die wichtigste TV-Nachrichtensendung für Bobos und unter 60-Jährige moderiert. Es mussten schon viele ORF-Stars, von Josef Broukal über Hary Raithofer bis Eugen Freund, leidvoll feststellen, dass ihre Popularität, nachdem sie den ORF verlassen und von dort auch keine Unterstützung mehr bekommen hatten, schlagartig in den Keller rasselte.

Die Versuche des ORF, mit Netflix zu kooperieren, mit Flimmit selbst im On-Demand-Geschäft mitzumischen oder gemeinsam mit privaten Anbietern digitale Vermarktungsplattformen zu etablieren, werden ihn nicht retten können. Da sind nicht die klassischen Betätigungsfelder öffentlich-rechtlicher Anstalten, zudem hat das ORF-Personal nie gelernt, Inhalte, Sendungen und Formate zu produzieren, für die Menschen freiwillig Geld bezahlen würden. Der ORF hat aufgrund seines jahrzehntelangen Sendemonopols, dank der Gebührengelder und vieler anderer Sonderrechte niemals am freien Markt bestehen müssen. Sein Output und seine Leistungsfähigkeit ist entsprechend mau.

Mit handwerklich zweitklassiger und noch dazu ideologisch kontaminierter TV-Stangenware hat man ohne Gebührengelder wenig Chancen zu überleben. Der ORF produziert seit Jahren konsequent am Markt vorbei, bedient vor allem die linke Reichshälfte. Die schrumpft aber und wird immer weiter von den Hebeln und Futtertrögen der Macht verdrängt. Obwohl der ORF von den Geldern des gemeinen Österreichers lebt, war dieser stets sein Feindbild, was man in praktisch jeder ORF-Produktion sehen kann. So eine Prägung, so eine Kultur legt man nicht von heute auf morgen ab.

Es ist primär eine politische Entscheidung, wie lange und in welcher Form es den ORF noch geben wird. Wenn aber der ORF für die Politik keinen Nutzen mehr hat, aufgrund des Widerstands aus der Bevölkerung gegen die hohen Kosten und Gebühren zunehmend zur Belastung wird, bedeutet das sein Ende. Und zwar unabhängig davon, welche Partei oder Koalition gerade an der Macht ist. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk existiert, entgegen den Bekundungen seitens des ORF und der Politik ja nicht, weil er wichtig für Meinungsvielfalt oder Demokratie ist, weil er das Banner des unabhängigen Qualitätsjournalismus hochhält, sondern weil er von Anfang an das Instrument vorwiegend linker Parteien zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung war. Ist er dazu nicht mehr in der Lage, hat er keine Existenzberechtigung. Ohne dieses Potential ist er völlig nutzlos für die Politik.

Durch die sich verändernde Mediennutzung und vor allem durch den demographischen Wandel (Warum sollten massenweise aus dem Orient importierte Menschen Stermann & Grissemann, Barbara Karlich, Vorstadtweiber oder die ZiB2 schauen?) wird der ORF bald bedeutungslos sein. Und das wird schneller gehen, als man am Küniglberg hofft.

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